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							| Der Zwiespalt des Einhaltens 
 Von Severin Hofmann, 2008
 
 Willkommen in Aachen! Wie gefällt es Ihnen?
 
 Ausgezeichnet! Wir freuen uns sehr, hier zu sein!
 
 Welchen Bezug haben Sie zu Aachen?
 
 Es ist wie immer am Anfang. Man weiß nicht genau, wohin alles führen 
soll und ist größeren oder kleineren Zweifeln unterlegen. Das ist das 
Leben.
 
 Sie sind sehr bunt gekleidet. Das gefällt mir.
 
 Vielen Dank. Kleidung ist nur ein lapidarer Ausdruck. In unserer Welt 
verlagern sich ständig die Bedeutungen. Man kann sich das wie eine 
reversible Farbenblindheit vorstellen. Rosa ist nicht gleich rosa; auch 
wenn man mit großer Ausdauer dazu konditioniert worden ist. Das ist wie 
die rosarote Brille. Sie kann existieren oder auch nicht.
 
 Sie meinen die Farbenverschwörung.
 
 Farben können verdünnt werden und verlaufen. Verlaufen sich im Nichts 
oder hin zu anderen verschiedenen Farben in unendlichen Kompositionen. 
Rosarot wird im Falle der Brille mit dem Himmel vermischt. Das ergibt 
einen für den Menschen sehr angenehmen Eindruck. Eine Art transzendenter
 Vorhang, mit dem Zugang zu einer anderen Realität, einer 
vorraussetzungslosen Wahrnehmung, ausgelöst durch - ja, ein simples 
Kleidungsstück.
 
 Produzieren Sie denn Kleidung für die Augen?
 
 Man kann mit den Augen nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Impulse 
erzeugen mit einer ungeheuren Energie fantastische Erregungsmuster. Das 
ist ein Zugang, der uns interessiert und dem wir auch in unserer Arbeit 
so manchen Platz einräumen. Es geht uns um den Reiz, der dadurch 
ausgelöst wird. Das Auge irritiert nur zu oft. Wahrheiten werden schnell
 zu Unwahrheiten, Beugungseffekte reflektieren verfälschende Fragmente 
von unscharfen Kanten. Innere Augen trauen den äußeren Verwandten nicht.
 Bilder kommen und gehen. Können sehr leicht erzeugt und etwas schwerer 
wieder gelöscht werden. Was bleibt ist eine eingebildete Bildung, die 
für voll genommen wird. Da ist der Ansatz. Wir nennen ihn "Pfupf".
 
 Meinen Sie damit Erinnerungen?
 
 Selten gibt es etwas elastischeres, fauleres und bequemeres als 
Erinnerungen. Besonders, wenn sie dann so selektiv werden. Nicht selten 
wird ein unumstößliches "Oculus non vidit, nec auris audivit" ganz léger
 in ein hundertausendprozentiges Auge und ein felsenfestes Ohr 
verwandelt. Da wird ein ganzes Konvolut an Irrglauben an die Oberfläche 
geschwemmt. Das ist nicht so der Bringer.
 
 Keine Guten?
 
 Doch. Gute Erinnerungen sind wie Balsam auf der Wunde. Dennoch sind auch
 sie nicht gegen spezielle katadrome Eigenschaften immun. Das heißt wie 
Süßwasserfische, die einfach mal ins Salzwasser auswandern.
 
 Erinnern Sie sich gerne an Ihre früheren Besuche in Aachen?
 
 Auf jeden Fall. Das erste Mal durften wir Achen beehren, als ein junger 
mit ungestümen Schaffensdrang ausgestatteter - um nicht zu sagen am 
Größenwahn haarscharf vorbeischrammender - Odo von Metz es sich gerade 
nicht nehmen lassen wollte, Aachen ein wirklich kolossales signature 
building vor den Latz zu knallen. Er schwamm zu diesem Zeitpunkt in 
seiner sogenannten Achter-Strömung und man muss sagen, stellte da 
tatsächlich mächtig was hin. Kein Pemperl. Die Einladung zur pompösen 
Eröffnungsparty seines architektonischen Meisterwerks nahmen wir 
natürlich sehr gerne an. Es wurde ein unbeschreiblich berauschendes 
Fest. Ein dramatisches Sofa, auf dem im Lauf der Zeit noch so mancher 
Promi Platz nehmen sollte, thronte erhaben an der Stirnseite, 
bestplatziert genau in der Sichtachse. Gewaltige Radleuchter wurden vom 
prachtvollen Kuppelgewölbe herabgelassen. Würdevoll schillerten 
exorbitante Bronze-Applikationen im Schein von über einer Million 
langhälsiger Kerzen. Exaltierte Treppentürme wechselten sich mit 
immensen grotesken Pfeilern ab, um gemeinsam verschlungen in einen 
opalisierend ausgeleuchteten Tambour zu münden. Zu den größten 
Attraktionen zählte zweifellos ein monumentaler gläserner 
Knochenschrein, mit weit über 1000 m2 bunten Glasflächen, in unendlicher
 Feinarbeit aus verspielt gemusterten Marmorsorten und erlesenstem 
Assuan-Granit gefertigt. Superbe Drinks wurden von anmutigen anämischen 
Anemonen mit bezaubernden riesigen Schmetterlingsflügeln am Rücken 
gereicht, ein fulminantes Buffet überwältigte selbst die prallsten 
Wänste und zartesten Bauchdeckchen der erlauchten Gästeschaft, während 
elysische Strudel bizarrer Musik wonnevoll durch das exquisite Ambiente 
wummerten. Als ganz besondere Einlage fand eine sagenhafte Vorführung 
ausgeflippter Hutmoden statt, die so gut ankam, daß sie sich sogar zur 
Tradition entwickelte. Schlicht, eine dufte Fete.
 
 Und dann der Vorfall.
 
 Ja, genau. Die Festivität verlief prächtig, bis plötzlich ein wohl schon
 etwas angetrunkener Witzbold, dem man nachsagte, er solle sich 
wiedermal die Haare schneiden, anfing, alles unaufhaltsam in lodernder 
Rage zu zertrümmern. Er zettelte eine monströse Keilerei an und wirbelte
 erschrockene Festgäste in hohem Bogen - bis fast an die Decke - durch 
die stattliche Halle. Man begann sich zu fragen, wer den wohl 
reingelassen habe, als er mit gewaltigem Gebrüll dazu überging, gift- 
und gallespuckend immer wieder wie am Spieß von Betrug und Rache zu 
schreien. Von einem Moment auf den nächsten war der Spuk aber dann auch 
wieder vorbei, dreist ließ er beim Verlassen der Veranstaltung noch 
einen Wolf mitgehen und war über alle Berge. Nun ja, mit den 
Feierlichkeiten war es dann allerdings auch vorbei.
 
 Aber ganz vorüber war es noch nicht.
 
 Leider nein. Der Schock saß uns allen noch tief in den Knochen, als am 
nächsten Morgen der Tölpel, dessen Zorn sich offensichtlich noch immer 
nicht abgekühlt hatte, mit einer gewaltigen Ladung Sand wieder 
zurückkehrte. Was er damit im Schilde führte, haben wir nie genau 
herausgefunden, aber ganz sicher nichts Gutes. Wegen der Lappalie einer 
falschen Wegbeschreibung explodierte der nervlich nicht sehr stabile 
Hitzkopf aufs Neue und schleuderte sein mitgebrachtes Mineraliengranulat
 in einem ultimativen apokalyptischen Wutanfall auf die Erde. Ein 
gigantischer Haufen entstand. Anschließend war er endgültig 
verschwunden. Wir haben gehört, bis heute wäre er nicht wieder in Aachen
 aufgetaucht.
 
 Erfreulicherweise bis jetzt nicht. Der Haufen ist aber noch immer da. Mutiert so vor sich hin.
Wie ist das bei Ihnen? In Ihren Arbeiten verändert sich auch häufig das Material in längeren Prozessen.
 
 Ja durchaus. Zum Beispiel kann man verschlufftes Sedimentgestein durch 
Zementation wunderbar in Sedimentit umwandeln. In einer etwas 
ausgedehnteren Zeitspanne findet eine sogenannte Diagenese statt und die
 lästigen Karbonate verschwinden. Im Folgenden wächst diese Melange, in 
der auch eine Menge Diatomeen verquirlt werden, zu Silex, oder auch 
Flint genannt, heran und vergrößert dabei ihr Volumen um ein Vielfaches.
 Gerne wird diese Masse gleich nach ihrer Metamorphose mit versteinerten
 Geweihhämmern wieder zertrümmert. So ergibt sich auch hier ein 
Kreislauf. Aber allzuviel davon dürfen wir fast nicht preisgeben. Das 
ist ja schon beinahe ein Betriebsgeheimnis.
 
 Machen Sie das auch zuhause?
 
 Ja sicher! Uns wächst schon mal was vom Kühlschrank durchs Treppenhaus ins Wohnzimmer.
 
 Könnte man rein theoretisch auch Speisen damit zubereiten?
 
 Ja! (Lachen) Das wird gemacht. Zur Stärkung der Muskulatur.
 
 Sprechen wir über Medien. Wie ist Ihr Umgang damit?
 
 Da wird man oft falsch verstanden. Zuerst wird man in ihre "heiligen 
Heine" gelockt, unentwegt im Kreis geführt und das Gegenüber versucht 
dann unter schärfster Beobachtung jede kleinste Äußerung zu deuten.
 
 Wie darf ich das verstehen?
 
 Es sind falsche Vertraute, die einen da an die Kandare nehmen, die vor 
lauter apathischer Perspektivenlosigkeit, neben selbst dem kleinsten 
Wechsel zwischen Trab und Galopp auch quasi den Verdauungsrhythmus in 
unendlicher Ausdauer und Beschränktheit zum willkürlichen Ziel ihrer 
verzweifelten Durchleuchtungen und Interpretationen machen, um dann die 
völlig aus dem dunklen Nichts gesogenen Binsenwahrheiten mit großem 
Gewinn an das ungebildete Volk zu verscherbeln, es dabei absolut zu 
unterjochen und weiter ihre Macht auszubauen. Da darf man nicht 
dünnhäutig sein.
 
 Sind Sie der Meinung, daß so die Geschicke so gelenkt werden?
 
 Nun ja, manch einer könnte in einer solchen Situation der Versuchung 
erliegen, manipulative Maßnahmen zu ergreifen. Das kommt für uns nicht 
in Frage. Aber heutzutage hat sich einiges geändert. Die Welt besteht 
aus solchen und solchen. Guten und Schlechten, Sanften und Harten, 
Dicken und Dünnen und so fort - das ist nichts neues. Hat es schon 
gegeben, war schon alles da, wird es immer geben.
 
 Aber es läßt sich doch nicht leugnen, daß so vielen Menschen zu Trost und Schmerzlinderung verholfen wird.
 
 Ja, einverstanden. Es ist ja auch gar kein soo schlechter Job. Aber, 
bitte, niemand sollte sich davon eine sichere Begleitung ins Totenreich 
erhoffen.
 
 Die Hoffung stirbt bekanntlich zuletzt.
 
 Ganz richtig. Man muss nur lange genug am Knochenbaum rütteln. Die 
zukünftigen Bischöfe von China werden auch ihr Scherflein zur Befreiung 
der Seelen beitragen.
 
 Da können wir ja beruhigt in die Zukunft blicken.
 
 Selbstverständlich! Das machen wir sowieso immer.
 
 Aber zur Vergangenheit. Die Welt wurde in sieben Tagen erschaffen. Wie sehen Sie das?
 
 Das ist wahrscheinlich totaler Kokolores. Außerdem, warum muss man das 
immer an dieser Sieben aufhängen? Eine in unseren Augen völlig 
überschätze Zahl, die viel zu lange versucht hat in der 
Experimental-Verhaltensforschung nicht unwesentlich Schindluder zu 
treiben. Und das gleich frisch fröhlich im Gespann mit blau. Diese Sache
 mit den Nasenlöchern, den Ohren, Augen und dem Mund kann sich jeder 
Dorfhilfspfarrer ausgedacht haben. Und bei den Sinnen mächtig den Finger
 auf die Waage zu legen, um um zwei auf den eigenen Namen zu erhöhen, 
das ist schon etwas frech. Nimmt sich grundlos viel zu wichtig. Die 
Zicke unter den Zahlen. Eine echt ehrgeizige Kanaille, der eine äußerst 
unglückliche Verkettung verschiedener nicht kongruenter Handlungsstränge
 zwischen dem Vorgänger und dem Nachfolger schon per definitionem 
innewohnt.
 
 Was ist schon Glück?
 
 Das Glück ist ein Vogerl.
 
 Äh ja. Ja, natürlich. Wie kam es zu ihrer Arbeit, "Der seltsam lächelnde Todesimmergrün"?
 
 Diese Arbeit entstand in Kollaboration mit unserem Wiener Freund Maxi. 
Er war zu dieser Zeit auf dem irrsinnigen Trip, die freakigsten 
Gartenanlagen Europas zu entwerfen. Da ja eine unserer großen 
Leidenschaften die Beschäftigung mit Pflanzen aller Art ist, kam er auf 
seiner Suche nach der Ausweitung seines ohnehin schon beeindruckend 
umfassenden botanischen Repertoires mit der Anfrage auf uns zu, 
"pflanzlich" eine neue Kreation zu wagen. Es sollte zu diesem Zeitpunkt 
etwas noch nie Dagewesenes geschaffen werden. Den Wienern wird - zurecht
 oder zu unrecht - ein gewisser Hang zum Morbiden nachgesagt. Also war 
sofort klar, was gemacht werden musste. Zuerst schwebte uns ein 
gigantischer gekochter Brokkoli mit unzähligen feinen abbröckelnden 
Ästchen vor. Aus Gründen von explodierenden parkpflegetechnischen 
Betriebskosten, die im Budget nicht berücksichtigt werden konnten, 
mussten wir das leider recht schnell wieder verwerfen, ließen uns aber 
von der Grundidee eines dynamisch energetischen Evergreens nicht 
abbringen. Nach einer konstruktivistischen Phase der Skizzierung von 
Anatomie und Morphologie war der Rest - eine zugegeben etwas kecke 
Zusammensetzung aus der Gattung der Kordaiten und Salix tristis - mehr 
oder weniger eine Fingerübung.
 
 Da plaudern Sie mir jetzt ja direkt aus dem Nähkästchen...
 
 Naja, da kann man ganz schön ins Schwärmen geraten. Die Einleitung so 
einer lebensspendenden Plasmolyse bei Kormophyten hat auch etwas 
unglaublich bombastisches. Das müssen Sie mal erlebt haben! Auf jeden 
Fall machten wir uns sofort an die Arbeit an der Sprossachse, 
verflochten zwischen Nodus und Internodus herrlich verspielte Zwiesel 
und versahen das Ganze mit einem dicken, toten, braunen Cortex, ein 
Mittelding zwischen rot- und kakaobraun, um genau zu sein. Wir dachten 
an vergrößerte Trichome und schließlich wurden wunderbare Emergenzen 
daraus. Ober- und Unterseite des äquifazialen Phylloms wurden mit 
Palisadenparenchym versehen, dazwischen das Schwammparenchym eingebaut. 
Dann noch zum Schutz der Epidermis etwas Cuticula aufgelagert. Aus 
unserem Fundus im Keller waren schnell noch verschiedene Alkaloide 
hervorgezaubert und sorgfältig zu einem betörenden Taxin gemixt; 
Taxcol-Baccatin als das außergewöhnliche Extra hinzugefügt. Zur 
Abrundung ein kleines farbliches Finetuning mit Sudan-III-Glycerin und -
 fertig! Zu guter Letzt sehen wir ja alles als ein Experiment, bei dem 
das Faszinierende ja auch ist, daß es mit einer gewissen unmöglich 
berechenbaren Eigenständigkeit wächst und wächst. Man hat da gottlob nur
 einen sehr eingeschränkten Einfluss darauf.
 
 Ich muss zugeben, Sie führen mich da jetzt auf das metabiologische Glatteis.
 
 Maxi taufte das Gewächs auf den unserer Meinung nach viel zu sperrigen 
Namen "Taxus baccata". Unter diesem Namen fand es weite Verbreitung, 
wurde bevorzugt in Grüppchen unter anderem bei Friedhöfen aufgestellt, 
was ihm den schon viel poetischeren Spitznamen "Tor zur Totenwelt" 
einbrachte. Auch sehr geschmeichelt hat uns, daß aus dem Kormus Amulette
 zum Schutz gegen Dämonen gefertigt wurden. Viel zu viele Exemplare 
wurden später leider von gekränkten italienischen Kritikern einfach 
wieder umgemäht.
 
 Sie arbeiten viel. Haben Sie Zeit?
 
 Zeit ist etwas sehr Schwammiges. Eigentlich etwas Weiches, das steinhart
 ist. Heute, in den gleich chronisch-malignen Korallenriffen über die 
Landschaften wuchernden Bürokomplexen vergeht sie für viele Angestellte 
so langsam, als könnten sie schon einen ganzen Urwald aus ihren 
Tastaturen herauswachsen sehen. Ihre Bewegungen verlangsamen sich mit 
einer irrgeleiteten Entschleunigung bis fast zum kompletten Stillstand, 
die Zeit beschleunigt umgekehrt. In unserem Universum ist die Bewegung 
entlang eines vorgegebenen Koordinatensystems, das sich irgendjemand 
ausgedacht hat, nicht der einzige Weg. Wir bewegen uns lieber oft auf 
Dschungelpfaden rück- und gegenläufig und sind fähig die Schichtungen 
auf eine andere Weise zu durchdringen. Jedes Positiv hat auch ein 
Negativ. Man darf das nicht immer als messbaren Parameter sehen, der 
eine bindende Aktualität vorschreibt; aneinandergereihte Ereignisse muss
 man von einander losgelöst betrachten. Denn die flaumige Wolle der Zeit
 strickt sich so dahin. Mit etwas Glück und Geschick läßt sich dieses 
fädenziehende Fluidum an jeder beliebigen Stelle zu jedem Zeitpunkt und 
-ort erfassen. Man muss nur vorsichtig damit umgehen, sonst bleibt das 
manchmal in der Hand kleben wie eine kalte Kartoffel und alles verdreht 
sich.
 
 Wenn man Ihnen so gegenübersitzt, wird man das Gefühl nicht los, Sie schon seit Ewigkeiten zu kennen.
 
 Ha, ha. Gerade letzten Mittwoch wurden wir wieder auf das Doppelportrait angesprochen.
 
 Ein wohl sehr bekanntes Werk.
 
 Das fällt schon unter die Kategorie "early works". Unser einziges 
Selbstportrait. Es hat ja wirklich unverhofft einen sehr lustigen Weg 
genommen. Eines Tages kam Frederigo Guillermo Rollador persönlich 
vorbei, auf der Suche nach etwas nachmittäglicher Zerstreuung und 
einfach um ein bisschen bei uns herumzustöbern. Als er in einer Ecke das
 Bild entdeckte, war er sofort davon entzückt. Ganz genau das hatte er 
schon lange verzweifelt gesucht, ohne zu wissen wonach er eigentlich 
gesucht hatte. Er sprach von der einzigartigen Ausstrahlung, die das 
Bild auf ihn habe, von Fruchtbarkeit, Geburt, Sonne, Kraft und 
Vitalität, die er darin erkennen konnte. Exakt das Richtige um den 
Menschen endlich glücklich zu machen. Das Richtige für seine Bewegung. 
Er kaufte uns das Bild ab und wir waren auch jung und glücklich. Berühmt
 werde er uns machen, versprach er noch beim Hinauseilen. Tatsächlich 
reproduzierte er das Portrait an die 330.000 mal, setzte eine 
unheimliche Marketingmaschinerie in Gang und - er hatte sich nicht 
getäuscht - es wurde zum Knüller. Der Vorstand seiner Gemeinschaft 
wählte es zum Kernsymbol, das es übrigens, wenn auch leicht abgeändert, 
bis heute geblieben ist. Gewitzte Merchandisingartikelhersteller 
sprangen auf den Zug auf und buken Kuchen und Brotlaibe mit unserem Bild
 als Motiv. Uns klappten vor Staunen die Kinnladen herunter. Geschnitzte
 Holzsilhouetten wurden allerorts als distinguierter Schmuck für 
gehobene Dachfirste angebracht. Selbst die damals boomende 
Wappenindustrie bediente sich bereitwillig des Portraits als 
Lieblingsmotiv, der Kunde wolle das so. Der Kunde wollte es auch ganz 
und gar so, bis es schon abergläubische Dimensionen angenommen hatte. 
Ein eigentlich recht genialer Werbefeldzug, wenn wir denn je im Sinne 
gehabt hätten einen zu starten...
 
 Sie haben auch Schuh-Design gemacht?
 
 Ja, genau. Design ist übertrieben, wir sind einfach nach einem soliden 
Form-follows-function-Prinzip vorgegangen. Aber es läßt uns schon 
manchmal schmunzeln, wenn uns das heute noch in Nieren verschraubt oder 
als Schokoladeriegel begegnet. Ist ja nichts schlechtes. Wie man sieht, 
braucht der Mensch Symbole.
 
 Wie sieht es mit Plagiatoren so aus? Sind Sie häufig mit ihnen konfrontiert?
 
 Wir haben schon mit extremen Fällen zu tun gehabt. Es ist nicht 
abzustreiten, daß das ist ja beizeiten auch überaus amüsant sein kann. 
Eine recht herzige Variante sind die blasierten Erscheinungen von 
profilierungssüchtigen Talkshowzuseherinnen, die sich zur Verschaffung 
verstärkter Aufmerksamkeit ein buntes, mit Glitter und Pailletten 
verziertes, gedrechseltes Stuhlbein mitten auf die Stirn kleben. Sogar 
durch und durch verschnöselte Individuen tauchen da hin und wieder aus 
dem Morast auf und machen sich auf kaiserlichen Sägespäne-Parketten in 
ihren Ballettröcken ziemlich lächerlich. Sie denken zu allem Überfluss 
auch noch, als heißblütige Spanier durchgehen zu können, obwohl ihnen 
das nie jemand abnehmen würde. Da sind staubige Wilde in Amerika, die 
von Herzen gern im Silberpelz rückwärts auf ihren Himmelswägen fahren. 
Es gibt auch die sehr angenehmen, welche, mit ausgezeichnetem Farb- und 
Mustergefühl, meist in Afrika beheimatet sind. Manche Sensationssüchtige
 gehen tatsächlich auf voll durchorganisierte Welttourneen, nur weil sie
 glauben die Kleinsten zu sein, andere wieder geben sich 
unverständlicherweise den Namen eines unangenehmen Pilzes. Ja, man 
erlebt da manchmal schon so einiges. Sind schon einige Zuckerstückchen 
dabei. Aber harmlos, nur sehr sehr selten wird gestalkt.
 
 Würden Sie Ihre Arbeit am Lousberg als Triptychon bezeichnen?
 
 Also jetzt kommen Sie uns schon sehr mathematisch. Allerdings haben Sie 
recht, man kann das durchaus tun. Drei Eier sind die Hälfte von zwei 
geschälten Birnen.
 
 Diesen Bären können Sie mir nicht aufbinden.
 
 (Singen)
Die Bären, die Bären, ja wenn sie nicht wären!
Wie Katzen strampeln sie mit ihren Tatzen und folgen den frischen Spuren der tapsigen Lemuren!
Die Bären, die Bären! Wie polnische Franzosen, lauf! sonst klauen sie dir deine Hosen!
Sie haben immer Hunger, die Bären, sie haben immer Durst!
Liberté, Fraternité, Egalité, Blutwurst!
 
 Da kann ich Ihnen jetzt nicht ganz folgen.
 
 Das macht nichts. Manchmal glaubt man direkt, das ist jetzt schon die 
Mondblindheit, der Dummkoller oder gar das Wobblersyndrom. Dinge, vor 
denen niemand gefeit ist. Wir klopfen auf Holz. So wie es ein listiger 
Körper gewohnt ist.
 
 Apropos List. Ihre Arbeit am Hellespont wurde in sehr 
unterschiedlicher Weise rezipiert. Die einen sind der Meinung, eine 
grandiosere Holzarbeit ist noch nie entstanden, andere wiederum 
behaupten Sie hätten wissentlich Ihre Kollegen ausgetrickst. Wie weit 
ist hier Lug und Trug und ausgekochter Erfindergeist von einander 
entfernt?
 
 Es stellt sich hier die Frage in welches Licht man die Angelegenheit 
rückt. Wir sprachen eben vom Mondlicht. Man muss sich das in die 
Methoden der klassischen Optik transponiert vorstellen. Wie die 
buchstäblich vielen Köche mit ihrem verdorbenen Brei. Allerdings ergeben
 noch so schmutzig addierte Lichtquellen ein reines, strahlendes Weiß. 
So haben wir eine unverrückbare Ungereimtheit zwischen dem Verderben und
 der Unschuld.
 
 Wie meinen Sie das?
 
 Eine gute Arbeit hat in ihrer Entstehung auch immer viel Kontroverses an
 sich. Es führt eben nicht immer der einfachste Weg zum Ziel. Obwohl das
 Ziel in unserer Philosophie nur eine sekundäre Rolle spielt, können 
auch wir uns einer gewissen Art von Strategie nicht entziehen, 
beziehungsweise trifft es eher den Punkt, wenn wir sagen, daß wir einen 
spielerischen Umgang damit pflegen. Sehen Sie, gerade da liegt der Hase 
im Pfeffer: Wir haben nur beobachtet, das Beobachtete verarbeitet und 
dann in diese uns adäquat erscheinende Form gebracht. That's it.
 
 Halten Sie die allgemeine Auffassung, es handle sich um das perfekte 
Kunstwerk, obwohl es in drei Tagen "zusammengezimmert" wurde, für 
überhöht?
 
 Da müssen Sie schon die besagten Experten selbst befragen.
 
 Sie möchten also nicht näher darauf eingehen?
 
 Wir wollen in der Tat kein Küchenlied auf eine immer nur mit 
Glaceehandschuhen angefasste Feelgood-Generation anstimmen. Daß dieses 
Beispiel in solchen Ausmaßen Schule machen würde, aus dem semipubliken 
Raum ausbrechen könnte und über Umwege seinen Eingang selbst in die 
jüngsten technologischen Innovationen finden würde, das könnten wir 
schlicht nicht ahnen. Unsere Intention war ja definitiv eine andere. 
Eine kleine Verschiebung des Blickwinkels reicht schon aus, um in diesem
 durch geschicktes Lobbying aufgetakelten Vexierbild das Eigentliche zu 
erkennen: Den entstandenen Hohlraum. Lug und Trug, wie Sie es nennen, 
haben in jedem Leben Platz und das müssen sie auch. Letztenendes sei 
noch gesagt, daß wir die Beurteilung dieser Geschichte jedem selbst 
überlassen wollen, so überproportional wie diese Sache aufgeplustert und
 in völlig verzerrtem Licht dargestellt worden ist.
 
 Also schon wieder Licht?
 
 Ja. Es ist ja immer da und umgibt uns in allen Lebenslagen. Real oder 
irreal. Natürlich oder unnatürlich. Die natürliche, ursprünglich 
gemeinte Nacht gibt es ohnehin nicht mehr. Aber man sollte aber auch das
 Licht nicht überthematisieren. Es ist einfach nur ein spektrales 
Phänomen.
 
 Was machen Sie nachts?
 
 In der Regel schlafen wir eigentlich tief und fest in unseren 
schwebenden Betten. Doch bisweilen packt es uns, wir fliegen wild umher,
 legen den Menschen goldene Träume aus Porzellan in Ihre unterbewussten 
Stratosphären und kühlende Kristalle auf die Stirn. Wir wirbeln in 
glitzernden Meteoritenschwärmen durch die Gegend und manchmal haben wir 
beim Rennen auch kurzfristig die Beine in der Luft. Verwoben in den 
Baukronen verwandeln wir uns in ein Meer aus Blütenblättern und treiben 
wie Flöckchen in einer trüben Flüssigkeit durch das weitverzweigte 
Gedankengeäst der Gehirne, die da latent schwummrig einherwaten und 
unaufhörlich versuchen sich ein Abbild dessen zu schaffen, was niemals 
greifbar werden kann.
 
 Verstehen Sie sich selbst als Stars?
 
 Nein, dieser Ausdruck kommt in unserem Sprachgebrauch nicht vor. Zu 
Sternen haben wir in unserer Weise ein anderes differenziertes, wie auch
 näheres Verhältnis. Aber das würde jetzt den Rahmen sprengen....
 
 Wir wollen hier am Boden bleiben und ich bedanke mich herzlich für das angenehme Gespräch!
 
 Oh, jetzt ist die Zeit aber schnell vergangen. Das Einhalten hat doch immer etwas Zwiespältiges. Vielen Dank auch Ihnen.
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